Die Stellungnahme des Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümerverein Berlin-Lichtenrade e.V. wurde nachträglich eingearbeitet (5.11.)

Erst vor einigen Tagen verkündete unerwartet der Vorsitzende der Lichtenrader Aktionsgemeinschaft Bahnhofstraße, Hagen Kliem, dass sämtliche Straßenfeste nicht mehr von der Initiative organisiert werden. Damit stand der jährliche Weihnachtsmarkt vor dem Aus. Ein neuer Betreiber will den Weihnachtsmarkt retten. Jedoch die Einzelhändler haben ganz andere Vorstellungen. Auch wird die weihnachtliche Beleuchtung der Einkaufsstraße in diesem Jahr nicht mehr die Straße erhellen.

Erst im September feierte man das 25. Wein- und Winzerfest in Lichtenrade, ohne dass die Öffentlichkeit etwas vom bevorstehenden Ende der Aktionsgemeinschaft mitbekam.

Die Aktionsgemeinschaft kurz vor der Auflösung

Mittlerweile ist die Website der Aktionsgemeinschaft abgeschaltet, die Geschäftsstelle ist geräumt, das Telefon ist abgeschaltet und die Mitarbeiter wurden zum 1. November 2012 gekündigt.

Die Website der AG ist nun abgeschaltet
Die Seele der Aktionsgemeinschaft, Beatrix Bockenkamp, wird nach 30 Jahren in der AG, in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Anders sieht es für Simone Galbiers (50) aus der Geschäftsstelle aus, die in die Arbeitslosigkeit entlassen wurde. Für Simone Galbiers kam das Ganze nicht wirklich überraschend: „In letzter Zeit war es doch absehbar. Wenn man kaufmännisch rechnen kann, weiß man, dass die Ausgaben nicht höher als die Einnahmen sein dürfen.“ Die Aktionsgemeinschaft beklagte seit einiger Zeit die hohen Straßennutzungsgebühren. Wie aus einer gut unterrichteten Quelle verlautet, fand noch vor einem Monat ein Gespräch zu dieser Frage im Bezirksamt statt. Änderungsmöglichkeiten wurden dabei von offizieller Seite nicht gesehen.

Die Aktionsgemeinschaft hat sich noch nicht aufgelöst, aber das dürfte mit der Verabschiedung von den großen Veranstaltungen nur noch eine Frage der Zeit sein. Viele Geschäftsleute waren schon lange nicht mehr mit der Arbeit der Aktionsgemeinschaft zufrieden, obwohl sich die AG als Kernpunkt immer die Stärkung des Einzelhandels auf ihre Fahnen geschrieben hatte. René Minow (61), von Minow´s Tabak Depot, drückt es ohne viel rumreden aus: „Wir sind froh, dass die Aktionsgemeinschaft weg ist!“ Minow´s Tabakgeschäft ist schon seit 1932 in der Bahnhofstraße ansässig, der jetzige Inhaber hat das Geschäft 1971 übernommen.

Im Lichtenrader Diskussionforum schrieb schon 2011ein Besucher: „Über den diesjährigen sogenannten "Weihnachtsmarkt" in der Lichtenrader Bahnhofstraße bin ich bitter enttäuscht. Die dortige Ansammlung von Billig- und Ramschständen verdient nicht die Bezeichnung Weihnachtsmarkt! Seit Jahren ist das Niveau dieser Veranstaltung gesunken. Das haben offensichtlich auch Standbetreiber und Besucher auch schon gemerkt. In diesem Jahr ist der Markt auch aus diesen Gründen wesentlich kleiner geworden. Ein Besuch lohnt sich definitiv nicht! Man schämt sich, diese Ramsch- und Fressmeile als Weihnachtsmarkt zu empfehlen. Warum hat die Aktionsgemeinschaft Bahnhofstraße nicht den Mut, diese Veranstaltung nicht mehr stattfinden zu lassen?“

Neuer Veranstalter will einige Feste erhalten und neuen Schwung reinbringen

Als einziger offizieller Hinweis war auf der Website der Aktionsgemeinschaft einige Tage zu lesen, dass die Traditionsveranstaltungen nicht mehr von der Aktionsgemeinschaft durchgeführt werden können. Es war ein Hinweis zu lesen, dass sich interessierte Händler an Joachim Jentzsch wenden können. Jentzsch hatte selbst jahrelang einen Wurststand auf dem Weihnachtsmarkt und will nun einige Feste in Lichtenrade weiterhin organisieren. Die Genehmigungen sind nach Aussage von Jentzsch erteilt worden. Er will auch den Maientanz und besonders das Wein- und Winzerfest organisieren. Für das Weinfest wurden mittlerweile 400 Winzer und Weinhändler angeschrieben. Joachim Jentzsch sieht auch Änderungsbedarf bei den Festen. „Ich will alte Traditionen wieder aufleben lassen. Schulen und Kitas sind auf dem Weihnachtsmarkt herzlich willkommen und werden die Stände auch kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen“ erläutert der neue Veranstalter.

Viele Einzelhändler wollen keinen Weihnachtsmarkt mehr!

Lina Hilsing, Inhaberin der Lichtenrader Bücherstube, fand die Feste „kontraproduktiv für die Geschäftsleute.“ Sie fand an dem Weihnachtsmarkt nichts Weihnachtliches mehr. Für Lina Hilsing ist es eindeutig, dass man nicht am Konzept der bisherigen Feste festhalten darf: „Die Kunden für die Buchhandlung sind an diesen Tagen oft nicht gekommen.“ Im Geschäft „Ihr Hausfreud“ kann man zumindest für den Weihnachtsmarkt auch etwas Positives abgewinnen, da bei ihrem Angebot hier durchaus mehr Kunden zu verzeichnen waren. Bei den anderen Festen waren aber auch in diesem Geschäft Umsatzeinbußen zu verzeichnen.

Hier wurden noch Weihnachtsbäume aufgestellt...


2008 schön geschmückt...
Kevin Bölling von „Tee & Tee“ ärgerte sich schon jahrelang über die Aktionsgemeinschaft, da den Wünschen nach „einer besseren Qualität der Feste“ keine Rechnung getragen wurde: „Grundsätzlich haben wir nix von den Festivitäten in der Bahnhofstraße!“ Bölling berichtet eher von negativen Auswirkungen: „Die Feste waren in den letzten Jahren mit massiven Umsatzeinbußen verbunden.“ Als Idee formuliert der Teehändler, dass der Weihnachtsmarkt an anderer Stelle neu organisiert werden könnte. Er nennt dafür beispielsweise als Ort die alte Mälzerei am S-Bahnhof Lichtenrade.

...das war 2010 auf der Hauptbühne...
Der Zigarrenspezialist René Minow ist schon lange nicht mehr Mitglied in der Aktionsgemeinschaft und hat sich über die Veranstaltungen sehr geärgert. Minow deutet an, dass er mit Unterstützung von anderen Geschäftsleuten versuchen wird, dass der Weihnachtsmarkt auf der Bahnhofstraße nicht mehr stattfindet.

Apotheker Lars Hombach von der Lindenapotheke ist Sprecher der noch ganz jungen „Initiative Bahnhofstraße“. Von dort wurde eine aktuelle Umfrage unter den rund 85 Geschäften der Einkaufsmeile initiiert. Die Aussagen zum Weihnachtsmarkt werden von Apotheker Hombach so zusammengefasst: „55 der befragten Geschäfte haben uns geantwortet. 96 Prozent sind gegen einen Weihnachtsmarkt in der bisherigen Form. Fast 84 Prozent können sich den Weihnachtsmarkt in anderer Form aber durchaus vorstellen!“ Die aktuellen Planungen für 2012 werden jedoch skeptisch gesehen: „Die aktuellen Planung des Spandauer Unternehmers Joachim Jentzsch scheint aber genau in die Richtung zu laufen, die von den meisten Lichtenradern niemand will: Eine reine Fress- und Trinkmeile“, macht Lars Hombach den Standpunkt der Händler klar.

Karl Wachenfeld vom Unternehmer-Netzwerk Lichtenrade bringt die Vorwürfe zu den Weihnachtsmärkten der letzten Jahre auf den Punkt: „Zu kommerziell, zu wenig weihnachtlich, eine reine Fressmeile.“ Weiter sagt der Unternehmer Wachenfeld: „Uns schwebt ein Weihnachtsmarkt aus Lichtenrade für Lichtenrade vor, der wohl erst 2013 stattfinden wird.“ Einige Lichtenrader erinnern sich noch gerne an das ortsteilausgerichtete Open-Air-Frühstück „zur Zukunft der Bahnhofstraße“ im Mai 2012, das von der Ökumenischen Umweltgruppe Lichtenrade und von anderen Initiativen organisiert wurde.

Vom Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümerverein Berlin-Lichtenrade e.V. bedauert es der 1. Vorsitzende, Frank Behrend, dass die Aktionsgemeinschaft künftig keine Märkte mehr veranstaltet. Er sieht verschiedene Gründe für die Entwicklung: „Leider ist es seitens der AG Bahnhofstraße versäumt worden, die Konzepte zu überarbeiten und zeitgemäß weiter zu entwickeln. Ferner sind bei einem Teil der Geschäftsleute die Märkte unerwünscht gewesen; es fehlte die Unterstützung vor Ort aber auch in der Politik. Märkte gehören zu einer attraktiven Einkaufsstraße und sollten daher mit geänderten Konzepten auch zukünftig stattfinden.“

Lichtermarkt und Reisel Weihnachtsmarkt unverändert

Unabhängig von der Entwicklung des Weihnachtsmarktes in der Bahnhofstraße findet aber weiterhin der Lichtermarkt am 1. Adventssonntag am Dorfteich in Lichtenrade statt. Dieser Weihnachtsmarkt ist nicht kommerziell ausgerichtet und bietet ein Forum für viele Lichtenrader Vereine, Schulen und Kitas. Auch der zeitgleich stattfindende kleine Weihnachtsmarkt beim Familienrestaurant Reisel in Alt-Lichtenrade, der viel Kunsthandwerk zeigt, findet wieder statt (Samstag und Sonntag). In Alt-Lichtenrade ist also weiterhin weihnachtliche Atmosphäre garantiert.

In der Bahnhofstraße muss sich etwas ändern: So oder so

Die Bahnhofstraße in Lichtenrade wird sich verändern. Dies ist die Hoffnung und gleichzeitig auch Befürchtung von vielen Bürgern. Wie sie sich verändert und wo der Zug dabei hinfährt, ist jedoch noch ungewiss. Einige Bürger wollen eine „Begegnungszone“, bei der alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt den Straßenraum nutzen. Ganz offensiv setzt sich dafür die Bürgerinitiative „Rettet die Marienfelder Feldmark“ ein. Dafür wären Umbauten im Straßenraum notwendig. Für viele Geschäftsleute ist jedoch klar, dass weiterhin Parkplätze für ihre Kunden zwingend notwendig sind. Eine autofreie Straße wird als Tod für die Geschäfte angesehen. Eine erste Standortkonferenz hat stattgefunden, um im Rahmen einer Bestandsaufnahme auch die unterschiedlichsten Interessen zu erkunden. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat dafür der Planergemeinschaft Kohlbrenner den Durchführungsauftrag gegeben. Schon im Dezember wird man im Gemeinschaftshaus Lichtenrade weiter diskutieren.

Thomas Moser (auch Fotos)

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