Differenzierte Meinungen, Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen

20. Mai 2010 Berlin-Lichtenrade

Die evangelische Kirchengemeinde Lichtenrade lud Bürgerinnen und Bürger zu einer Diskussionsveranstaltung in das Gemeindezentrum in der Goltzstraße 33 ein. Die Diskussion zeigte ein großes Spektrum an Wünschen, Ängsten und Erwartungen auf.

Pfarrer Thilo Haak begrüßte den Vorsitzenden des Stadtplanungsausschusses Reinhard Janke (SPD), Christian Zander von der CDU-Fraktion und den ehemaligen Bezirksverordneten Martin Müller-Follert (SPD). Mit über 100 Menschen war der Gemeindesaal gut gefüllt. Thilo Haack betonte den Stellenwert der alten Mälzerei bei den Planungen und wusste zu berichten: „Früher (um 1900) hing jede durstige Seele in Berlin von Lichtenrade ab.“

Einleitend informierte Reinhard Janke über die vorläufigen Planungen des Investors. Bei dem Grundstück für das Einkaufszentrum handelt es sich um ein Gebiet von 31.000 Quadratmeter. Nach Angaben des Investors Huth ist an eine Verkaufsfläche von 9.000 Quadratmeter gedacht, was den bisherigen BVV-Beschluss deutlich übersteigt. Die Informationen aus dem Stadtplanungsausschuss sind auch detailliert in der Internetzeitung von Lichtenrade nachzulesen: http://weblog.lichtenrade-berlin.de/archive/2010/05/15/die-alte-m-lzerei-wird-zum--kulturzentrum-lichtenrade-.htm

Janke betont immer wieder: „Als gewählte Vertreter wollen wir die Meinung der Bürger vertreten.“ Klar wurde jedoch auch, dass man es nicht jedem Recht machen kann. Ein Hauptaspekt bei den Planungen sei, laut Janke, dass die Mälzerei von der Bahnhofstraße aus gut zu sehen ist.“ Die Finanzierung eines möglichen Bereiches für die Öffentlichkeit, zum Beispiel für Kultureinrichtungen, sei jedoch vollkommen offen. Fest steht, dass dem Bezirksamt keinerlei Möglichkeiten für eine Finanzierung zur Verfügung stehen. Zum zeitlichen Ablauf führt Reinhard Janke aus: „Die Bezirksverordneten haben keine Eile. Mit dem ersten Spatenstich sei jedoch schätzungsweise frühestens nach einem Jahr zu rechnen.“

Einige Bürger machten in der Diskussion geltend, dass „wir doch Alles in Lichtenrade haben und sich nichts verändern muss!“ So waren dann auch Meinungsäußerungen: „Wir brauchen ein Einkaufszentrum so wie einen Kropf!“ oder „Einkaufszentren sind herzlose Geschäfte und sehen überall gleich aus. Die Bahnhofstraße hat überall kleine Netzwerke, die dann kaputt gehen!“ Andererseits wurde aber auch deutlich, dass man sich schon in der Bahnhofstraße Veränderungen wünscht: „Lichtenrade ist stark überaltert und bräuchte eine gesunde Altersstruktur. Dafür muss das Leben für jüngere Menschen attraktiver gestaltet werden und die Bürgersteige dürften in der Bahnhofstraße nicht um 18 Uhr hochgeklappt werden.“ Eine deutliche Anzahl von Diskutanten vertraten die Meinung, dass sich schon etwas in Lichtenrade verändern müsse und durchaus die Chance mit einem ausgewogenen Konzept für ein Einkaufszentrum dazu besteht: „Eine gesunde Mischung mit künstlerischen Angeboten ist für die Entwicklung von Lichtenrade wichtig“, wurde argumentiert. Deutlicher wurde ein älterer Herr: „Ich habe bei Lichtenrade das Gefühl, dass ich in ein Kaff komme. Um mir ein ordentliches Hemd zu kaufen, muss ich zurzeit in die Stadt fahren“. Auch wenn diese Äußerung von eingefleischten Lichtenradern als etwas hart empfunden wurde, waren Veränderungen doch auch mehrheitlich gewünscht. Selbst eine ältere Dame kann sich einen „Indoor-Spielplatz“ für ihre Enkel vorstellen: „Die Zeiten haben sich halt verändert!“ Weiter wurde argumentiert: „Lichtenrade muss auch die Jugend begeistern!“

Konkrete Wünsche waren dann zum Beispiel ein Bio-Supermarkt und/oder Reformhaus, ein Prophylaxe-Gesundheitszentrum, ein Schuhgeschäft oder auch die Berücksichtigung von ökologischen Einrichtungen. Konkret wurde eine Partnerschaft mit einem Unternehmen angeregt, das zum Beispiel eine Tankstelle für Elektroautos anbietet. Dies könnte dann auch mit einem Carsharing-System kombiniert werden: „So könnte das Einkaufszentrum auch eine ökologischer Vorreiter für andere Städte und Gebiete sein!“

Oft fiel in der Diskussion auch der Hinweis auf einen „Marktplatz“ an der Mälzerei, was sicherlich nicht nur wörtlich zu verstehen war. So führte der ehemalige Pfarrer Reinhard Kraft von der Ökumenischen Umweltgruppe Lichtenrade, die diese Diskussionsveranstaltung angeregt hatte, aus: „Der Platz in der Nähe der alten Mälzerei hat einen hohen Erlebniswert durch die unmittelbare Nähe zur S-Bahn. Es bietet sich an, hier einen bedarfsgerechten Einkaufsplatz für die Nahversorgung zu schaffen, die vorrangig auf Kunden abgestimmt ist, die zu Fuß, mit dem Rad, dem Bus oder der S-Bahn kommen. Ein solches Zentrum käme mit deutlich weniger Parkplätzen aus (Anmerkung der Redaktion: geplant sind z.Zt. 275 zusätzliche Parkplätze). Wir denken an einen reizvoll gestalteten verkehrsfreien Marktplatz mit einer Mischung aus Fachgeschäften, Gastronomie und Dienstleistungen.“ Die Umweltgruppe sieht die Gefahr, dass durch die vielen Parkplätze Käufer aus dem Umland angezogen werden. Die Umweltgruppe will keine mit Parkplätzen versiegelte Fläche. Kraft rechnet weiter vor: „Alle 9 Sekunden wird ein zusätzliches Auto die Bahnhofstraße benutzten.“ Eine Frau weiß beizusteuern, dass BVG-Fahrer schon heute die Bahnhofstraße als eine der schlimmsten Straßen in Berlin empfinden. Auch wurde die Chance von verkehrsberuhigten Lösungen gesehen, wenn andererseits mehr Parkplätze an der alten Mälzerei zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin wurde die geplante Schließung des Bahnüberganges Wolziger Zeile im Zuge des Ausbaus der Dresdner Bahn und der sich damit verändernden Verkehrsflüsse problematisiert. Zur Verkehrssituation, die eher als problematisch angesehen wurde, muss aber auch noch ein zwingendes ausführliches Verkehrsgutachten zu einem späteren Zeitpunkt gefertigt werden.

Auch wenn Ängste mit einem zusätzlichen Einkaufszentrum verbunden sind wurde deutlich, dass der Stadtteil auch entwicklungsfähig und entwicklungsbedürftig ist. Es wurden mehr Freiflächen und auch Spielflächen für Kinder auf dem neuen Gebiet gewünscht.

Deutlich wurde, dass man eine Nutzung für die Allgemeinheit, zum Beispiel für eine Art Kulturzentrum, nicht zum „Nulltarif“ bekommen wird. Hier werden sich der Bezirk, die Lichtenrader Bürger und der Investor noch annähern müssen. Der Investor ist zum Beispiel auch in Zehlendorf von ursprünglichen Planungen abgerückt. Der Investor Huth betonte immer wieder im Stadtplanungsausschuss, dass er zu Änderungen bereit ist, andererseits sich das Ganze auch für ihn rechnen muss.

Zum Bebauungsplanverfahren 745, das sich mit dem Gebiet nördlich des geplanten Einkaufszentrums beschäftigt (Nuthestraße), wurde ausgeführt, dass eine Bürgerbeteiligung noch nicht begonnen hat. Offensichtlich ist hier eine Wohnbebauung geplant. Die HGHI vom Investor Huth soll hier schon als Eigentümer der Grundstücke eingetragen sein.

Die Diskussionsteilnehmer konnten am Ende der Veranstaltung noch Punkte für ein Meinungsbild vergeben. Danach wurde deutlich, dass die überwiegende Mehrheit kein neues großes Einkaufszentrum mit viel zusätzlichen Parkplätzen will, sondern eher einen „Marktplatz mit verschiedenen Fachgeschäften“ präferiert. Inwiefern in den Verhandlungen mit dem Investor diese Wünsche mit eingearbeitet werden können, bleibt abzuwarten. Wenn man eine Weiterentwicklung von Lichtenrade haben will, wird man um die beste Lösung ringen müssen. Der Investor wird auf die Wünsche der Lichtenrader und vom Bezirksamt jedoch sicher nur eingehen, wenn andererseits das Projekt auch für ihn wirtschaftlich ist.

ToM –BerLi-Press


 

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