Ein Interview mit der Sozialstadträtin Dr. Sibyll Klotz: „Wir halten diesen Standort für wenig geeignet – aus Sicht der Flüchtlinge!“

Die ehemalige Senioreneinrichtung Georg-Kriedte-Haus am Kirchhainer Damm wurde im Jahr 2011 aus finanziellen Gründen geschlossen. Für die Umsetzung war die Sozialstadträtin Dr. Sibyll Klotz (Bündnis90/Die Grünen) zuständig. Das Haus steht seitdem leer. Im November wurde bekannt, dass dieser Standort als Dauerunterkunft für Asylbewerber geprüft wird. In einem Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Marco Luczak (CDU) im November 2012 äußerte dieser sein Bedenken und forderte „eine gerechtere Verteilung in Berlin, die auch der Akzeptanz der Asylbewerber zugutekommt.“

Die CDU-Fraktion hat im Dezember 2012 in die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg einen Antrag eingebracht, dieses Haus als Studentenwohnheim zu nutzen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die SDP-Fraktion forderte die CDU in diesem Zusammenhang auf, den Verdacht auszuräumen, sie wolle damit nur verhindern, dass das Haus für Flüchtlinge genutzt wird. Die CDU wies diese Unterstellung zurück.

Auch der Bundestagsabgeordnete Dr. Marco Luczak unterstützt das Anliegen der CDU und erklärte in der Berliner Woche im Januar 2013: Der Antrag der CDU ist „leider von der SPD und den Grünen zurückgewiesen worden", bedauert Luczak. Er kann das Argument nicht nachvollziehen, dass dieses Gebäude zu weit entfernt ist von den Universitäten und Hochschulen in Berlin. "Ich finde es schade", betonte Luczak, "uns fehlen Tausende von studentischen Wohnungen in Berlin." Für ihn sind Fahrzeiten von etwas mehr als 30 Minuten durchaus akzeptabel. Außerdem bringt er noch das Argument ein, dass "Studenten auch für das Leben in Lichtenrade gut sind."

Nun konnten wir zu diesen Fragen mit der Stadträtin Dr. Sibyll Klotz ein Interview führen, dass ungekürzt abgedruckt wird. ToM

Interview mit der Bezirksstadträtin Dr. Sibyll Klotz (Bündnis 90/Die Grünen)

Sibyll Klotz auf dem Neujahrsempfang 2013 von Bündnis 90/Die Grünen

BerLi-Press:
Um die Zukunft des Georg-Kriedte-Hauses gibt es immer wieder Gerüchte. Was wissen Sie darüber?

Sibyll Klotz: Das Bezirksamt hat das Georg-Kriedte-Haus ohne Wünsche für die weitere Nutzung an den Liegenschaftsfonds abgegeben. Dort gibt es meines Wissens drei Interessenten, die an diesem Standort eine Unterkunft für Flüchtlinge einrichten wollen.

BerLi-Press: Was halten Sie von der Idee, dort ein Studentenwohnheim einzurichten?

Sibyll Klotz: Das ist unrealistisch. Erstens kann man nicht mitten im Verfahren mit dem Liegenschaftsfonds neue Bedingungen anmelden. Und zweitens ist der Standort überhaupt nicht geeignet. Senat und Studentenwerk sehen einen Bedarf an studentischem Wohnraum von ca. 500-600 Wohnplätzen im innerstädtischen Bereich. Wohnheimplätze außerdem des S-Bahn-Rings werden nicht nachgefragt, außer sie sind in der Nähe der Freien Universität. Studenten wollen eben zentral oder in der Nähe ihrer Hochschule wohnen!

BerLi-Press: Und was hält das Bezirksamt von der Idee, dort Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen?

Sibyll Klotz: Wir halten diesen Standort für wenig geeignet – aus Sicht der Flüchtlinge! Neben der verkehrlich schlechten Anbindung und der mangelnden Infrastruktur fehlt es dort vor allem an Möglichkeiten für Kita- und Schulkinder. Deshalb haben wir uns mit dem Landesamt darauf verständigt, dieses Haus nach Möglichkeit nicht zur Unterbringung für Asylbewerber und Flüchtlinge zu nutzen. Übel finde ich allerdings, wie die Bezirks-CDU gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Lichtenrade Stimmung macht. Deshalb ist es mir wichtig zu sagen: Flüchtlinge sind in Tempelhof-Schöneberg willkommen, und ich bin mir ganz sicher, dass die übergroße Mehrheit der Lichtenraderinnen und Lichtenrader das genau so sieht!

BerLi-Press: Wer entscheidet eigentlich darüber, wo Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet werden?

Sibyll Klotz: Das entscheidet das Landesamt für Gesundheit und Soziales, für das der Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja (CDU) verantwortlich ist. Er ist händeringend auf der Suche nach Plätzen, weil Berlin auf die Zahl der Flüchtlinge nicht vorbereitet ist, wobei 6.000 Flüchtlinge erstens keine Flüchtlingswelle sind, wie manche suggerieren, und zweitens in einer 3,5 Millionen Stadt ja wohl unterzubringen sind. Dazu müssten dann allerdings auch die Bezirke einen Beitrag leisten, die sich bisher der Verantwortung entziehen. Das haben wir schon beim letzten Senat angemahnt und der jetzige Senat hat dafür ein Konzept vorgelegt, das nun aber auch durchgesetzt werden muss.

BerLi-Press: Wie sieht denn dieses Konzept des Senats aus?

Sibyll Klotz: Es verteilt, orientiert an der Einwohnerzahl, einmal 6.000 und einmal 12.000 Plätze auf alle Berliner Bezirke. 12.000 um Höchstgrenzen für jeden einzelnen Bezirk festzulegen, denn es ist ja nicht so einfach, geeignete Gebäude zu finden, die sich dann auch idealtypisch auf die 12 Bezirke verteilen.

BerLi-Press: Und was bedeutet das für Tempelhof-Schöneberg?

Sibyll Klotz: Dass wir mittelfristig mit unseren belegten knapp 800 Plätzen in der Marienfelder Allee und im Trachenbergring unseren Anteil bereits erbringen. Die Marienfelder Allee ist bis Ende 2014 vom Bund angemietet, und ich bin froh, dass wir mit dem Internationalen Bund hier einen Betreiber haben, der dort eine gute Arbeit leistet. Das Senatskonzept bedeutet aber auch, dass es kurzfristig durchaus zu weiteren Plätzen kommen kann.

BerLi-Press: Und wie bewerten Sie das?

Sibyll Klotz: Wir haben das Recht auf Asyl im Grundgesetz festgeschrieben und ich halte das für ein hohes politisches Gut. Zumal dieses Asylrecht ja so verschärft wurde, dass die Zahlen in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. Und wir haben immer mehr wohnungslose Menschen, für die ebenfalls Unterkünfte fehlen. Dieser Verantwortung müssen sich Senat und Bezirke gemeinsam stellen. Dazu gehört auch, nach für alle Beteiligten vernünftigen Rahmenbedingungen zu suchen, und darauf versuchen wir als Bezirk auch Einfluss zu nehmen. Da würden wir uns durchaus mehr Unterstützung vom Senat wünschen, z. B. was die Schul- und Kitaplätze betrifft. Für inakzeptabel halte ich das Sankt-Florians-Prinzip.

Das Interview führte Thomas Moser (Fotos BerLi-Press/Thomas Moser)

Sibyll Klotz beim Frühstück auf der Bahnhofstraße
Laut Wikipedia:
„Das Sankt-Florian-Prinzip oder die Sankt-Florian-Politik bezeichnet Verhaltensweisen, potenzielle Bedrohungen oder Gefahrenlagen nicht zu lösen, sondern auf andere zu verschieben.“


 

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